15. Juli 2016

Deutschland vortreten!

Auf den ersten Blick wirkt das Weißbuch mit seinen vielen, diplomatisch geschliffenen Floskeln unspektakulär. Doch schaut man genauer hin, stellt man fest, dass darin die sicherheitspolitische Zeitenwende festgeschrieben wird.

Welt aus den Fugen

Das Weißbuch reagiert auf die massiven sicherheitspolitischen Veränderungen der vergangenen Jahre. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Besonders besorgniserregend sind die Krisen an Europas Grenzen: im Osten die neuen Spannungen mit Russland sowie im Süden die Destabilisierung des Nahen Ostens und Afrikas.

Hier sind alle sicherheitspolitischen Instrumente gefragt: Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und militärische Mittel. Wie im Weißbuch zu lesen ist, wird dabei besonders der Bundeswehr viel abverlangt: Sie soll Cyberangriffe abwehren, hybrider Kriegsführung erfolgreich begegnen, fragile Staaten stabilisieren, der Bedrohung des freien Welthandels entgegenwirken und auch die Folgen von Klimawandel, Seuchen und Migration bekämpfen.

Mehr Verantwortung in der Welt

Deutschland ist bereit sich den neuen Herausforderungen zu stellen und mehr Verantwortung in der Welt zu tragen – so steht es nun auch im wichtigsten sicherheitspolitischen Grundlangendokument. In der Konsequenz werden – im Gegensatz zum vorangegangenen Weißbuch – das sicherheitspolitische Selbstverständnis und die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands verhandelt. Deutschland schreibt sich hier eine Führungsrolle auf internationaler Ebene zu: „Deutschland ist bereit, die globale Ordnung aktiv mitzugestalten“, so eine der zentralen Aussagen des Weißbuches.

Damit tritt Deutschland endgültig aus der zweiten, in die erste Reihe der sicherheitspolitischen Akteure. Was auf der Münchner Sicherheitskonferenz von zweieinhalb Jahren seinen Ausgang nahm, wird hier festgeschrieben. Das Politikverständnis in der Sicherheitspolitik hat sich gewandelt!

Theorie und Praxis

So viel zumindest die Theorie. Doch auch in der Praxis hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan: Seit Beginn der Ukraine-Krise übernimmt Deutschland zusammen mit Frankreich eine Führungsrolle, um den Konflikt diplomatisch zu lösen.

Zugleich agiert Deutschland im Verbund mit seinen NATO-Partner, um dem aggressiven Vorgehens Russlands durch Dialogangeboten und Abschreckung zu begegnen. Unsere Bundeswehr ist Teil der NATO Response Force, der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) und wir werden uns als Rahmennation in Litauen an den rotierenden NATO-Truppenkontingenten im Osten beteiligen.

Auch bei der Bekämpfung der Terrormiliz IS geht Deutschland neue Wege: Die Bundeswehr bildet im Irak kurdische Peschmerga aus und nach sorgfältiger Abwägung wurden sie auch mit dringend notwendigen Waffen ausgestattet. Dies sind nur einige Beispiele von vielen!

Zeitenwende muss unterfüttert werden

Diesen verantwortungsvollen Weg wollen wir auch in Zukunft weiter mit unseren Partner der EU und der NATO beschreiten. Um hier Führungsverantwortung zu übernehmen und diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen wir die Trendwende beim Etat und der Personalstärke, die die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eingeläutet hat, auch vollziehen. Diese Investitionen sind notwendiger Teil der sicherheitspolitischen Zeitenwende!

In den kommenden 15 Jahren werden allein 130 Milliarden Euro benötigt, um die Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr zu sichern. Wir dürfen uns hier nicht beirren lassen: Für die Sicherheit unseres Landes und für die Sicherheit in der Welt!

Einsatz der Bundeswehr im Innern

Doch bei einer Frage, konnte im Weißbuch kein Umdenken erreicht werden: dem erweiterten Einsatzes der Bundeswehr im Innern. Aufgrund des Widerstands der SPD wurde nur ein Kompromiss festgehalten. Es sei bereits heute durch das Grundgesetz gedeckt, dass Soldatinnen und Soldaten die Polizei bei terroristischen Großlagen unterstützen und hoheitliche Aufgaben übernehmen. Diese Fälle seien zu den „besonders schweren Unglücksfällen“ zu zählen. Wie diese Einsätze aussehen sollen und welche Kompetenzen die Bundeswehr hat, wird jedoch nicht näher ausgeführt. Um das zu klären und durchzuspielen, werden die Länderpolizeien und die Bundeswehr nun gemeinsam üben. Hier gibt es viel zu tun, damit im Ernstfall die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist!

Ausländer in der Bundeswehr

Viel Diskussionsstoff bietet auch die Frage, ob EU-Ausländer als Soldatinnen und Soldaten in den deutschen Streitkräften dienen sollen. Denn der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Unsere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr müssen sich – auch wenn sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben – Deutschland verbunden fühlen. Und natürlich müssten auch Bundeswehrangehörige mit EU-Staatsbürgerschaft schwören das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen! In einem zusammenwachsenden Europa hat die soldatische Identität nicht mehr nur eine nationale Ausprägung, sondern auch eine europäische. Ich sehe hier eine Chance für die Bundeswehr und die gemeinsame EU-Verteidigungspolitik!

Anerkennung und Würdigung unserer Veteranen

Eine andere, sehr wichtige Chance wurde im Weißbuch jedoch nicht genutzt: endlich den Veteranen-Begriff zu klären. Das Weißbuch geht nicht auf die Anerkennung und Würdigung der ehemaligen Soldatinnen und Soldaten ein. Unsere Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Wir müssen uns so nicht nur daran messen lassen, ob und wie wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden, sondern vor allem auch wie wir mit unseren Veteraninnen und Veteranen umgehen. Denn sie sind es, die in den Auslandseinsätzen unsere Freiheit in Deutschland schützen und sich für eine bessere uns sicherer Welt einsetzen. Auch hier brauchen wir dringend eine Zeitenwende!

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